Gebrüder Grimm
Kinder- und Hausmärchen, große Ausgabe, Band 1, 1850
In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König,dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war soschön, daß die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sichverwunderte so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse desKönigs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter eineralten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiß war, so ging dasKönigskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlenBrunnens: und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warfsie in die Höhe und fieng sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.
Nun trug es sich einmal zu, daß die goldene Kugel der Königstochternicht in das Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte,sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hinein rollte. DieKönigstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand,und der Brunnen war tief, so tief daß man keinen Grund sah. Da fieng siean zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten.Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu 'was hast du vor, Königstochter,du schreist ja daß sich ein Stein erbarmen möchte.' Sie sah sich um,woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dickenhäßlichen Kopf aus dem Wasser streckte. 'Ach, du bists, alterWasserpatscher,' sagte sie, 'ich weine über meine goldene Kugel, die mirin den Brunnen hinab gefallen ist.' 'Sei still und weine nicht,' antwortete derFrosch, 'ich kann wohl Rath schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich deinSpielwerk wieder heraushole?' 'Was du haben willst, lieber Frosch,' sagte sie,'meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, dieich trage.' Der Frosch antwortete 'deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine,und deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich lieb habenwillst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischleinneben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherleintrinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ichhinunter steigen und dir die goldene Kugel wieder herauf holen.' 'Ach ja,'sagte sie, 'ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugelwieder bringst.' Sie dachte aber 'was der einfältige Frosch schwätzt,der sitzt im Wasser bei seines Gleichen und quackt, und kann keines MenschenGeselle sein.'
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sankhinab und über ein Weilchen kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugelim Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sieihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort.'Warte, warte,' rief der Frosch, 'nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wiedu.' Aber was half ihm daß er ihr sein quack quack so laut nachschrie alser konnte! sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald denarmen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinab steigen musste.
Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafelgesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitschplatsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als esoben angelangt war, klopfte es an der Thür und rief 'Königstochter,jüngste, mach mir auf.' Sie lief und wollte sehen wer draußenwäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf siedie Thür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganzangst. Der König sah wohl daß ihr das Herz gewaltig klopfte undsprach 'mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor derThür und will dich holen?' 'Ach nein,' antwortete sie, 'es ist kein Riese,sondern ein garstiger Frosch.' 'Was will der Frosch von dir?' 'Ach lieberVater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da fielmeine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Froschwieder heraufgeholt, und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm ersollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr daß er aus seinemWasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.'Indem klopfte es zum zweitenmal und rief
'Königstochter, jüngste,
mach mir auf,
weißt du nicht was gestern
du zu mir gesagt
bei dem kühlen Brunnenwasser?
Königstochter, jüngste,
mach mir auf.'
Da sagte der König 'was du versprochen hast, das mußt du auchhalten; geh nur und mach ihm auf.' Sie gieng und öffnete die Thüre,da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zuihrem Stuhl. Da saß er und rief 'heb mich herauf zu dir.' Sie zaudertebis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war,wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er 'nun schieb mirdein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.' Das that siezwar, aber man sah wohl daß sies nicht gerne that. Der Frosch ließsichs gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bißlein im Halse. Endlichsprach er 'ich habe mich satt gegessen, und bin müde, nun trag mich hinaufin dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wiruns schlafen legen.' Die Königstochter fieng an zu weinen undfürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie nicht anzurührengetraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte.Der König aber ward zornig und sprach 'wer dir geholfen hat, als du in derNoth warst, den sollst du hernach nicht verachten.' Da packte sie ihn mit zweiFingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag,kam er gekrochen und sprach 'ich bin müde, ich will schlafen so gut wiedu: heb mich herauf, oder ich sags deinem Vater.' Da ward sie erstbitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider dieWand, 'nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.'
Als er aber herab fiel war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mitschönen und freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihrlieber Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einerbösen Hexe verwünscht worden, und Niemand hätte ihn aus demBrunnen erlösen können als sie allein, und morgen wollten siezusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein' und am andern Morgen, alsdie Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen heran gefahren mit acht weißenPferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf, undgiengen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs,das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, alssein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, daß er drei eiserneBande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh undTraurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König insein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wiederhinten auf, und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie einStück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn daß eshinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um undrief
'Heinrich, der Wagen bricht.'
'Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als ihr in dem Brunnen saßt,
als ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart).'
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohnmeinte immer der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vomHerzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst undglücklich war.
Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859)